Book Reviews

cover image

Early Sino-Tibetan Art

by
Heather Stoddard

2008, second edition, 156 pp., 12 colour and 57 b & w plates, 29 x 21 cm., hardcover.

ISBN-10: 974-524-036-2 $50.00
ISBN-13: 978-974-524-036-0




Book review by Michael Buddeberg

(Preetorius Foundation, December 2008)


Als 1975 Heather Stoddards Early Sino-Tibetan Art erschien, war die Geschichte der tibetischen Kunst ein unbeschriebenes Blatt, ja noch mehr, es war ein fast obskures Fachgebiet, denn Tibet war damals ein hermetisch verschlossenes Land. Ernsthafte Forschung konnte allein in einigen westlichen Archiven und Bibliotheken stattfinden. Erst zwei Wissenschaftler (George Roerich und Giuseppe Tucci) hatten an Ort und Stelle kunstgeschichtliche Studien betrieben und der tibetische Pantheon mit seinen ungezählten Gottheiten glich trotz früher Arbeiten von Grünwedel, Francke und Hummel eher einem undurchdringlichen Dschungel denn einem geordneten System. Aufgrund der Besonderheiten buddhistischer Kunst, der Anonymität der Künstler, ihrer konservativen Grundhaltung und der strengen ikonographischen Vorgaben, war vor allem die Frage der stilistischen Entwicklung dieser Kunst bislang vernachlässigt worden. Heather Stoddard gelang es, anhand von wertvollem, teilweise sogar datierten Quellenmaterial von den großen Expeditionen des frühen 20. Jahrhunderts, das sie in öffentlichen und privaten europäischen, russischen und japanischen Sammlungen fand, die tibetische Kunst erstmals in einen großen, zentralasiatischen Zusammenhang zu stellen, Einflüsse aufzuzeigen und stilistische Entwicklungen festzustellen. Letzter Anstoß zu dieser fundamentalen Arbeit waren datierte Bronzen aus der Regierungszeit des Kaisers Yongle (1403-1424) der frühen Ming-Dynastie, die kurz zuvor auf dem Londoner Markt erschienen waren. Diese vergoldeten, hochpolierten Bronzen höchster handwerklicher und künstlerischer Qualität waren und sind ein Schlüssel nicht nur für den spirituellen, sondern auch den kunsthandwerklichen Austausch zwischen Tibet und dem kaiserlichen China. Daran ebenso wie an den Schlüssen, die die Autorin aus den frühen und häufig datierten oder datierbaren Blockdruckwerken des 13. bis 15. Jahrhunderts gezogen hat, hat sich bis heute nichts geändert. So ist die bis auf wenige Korrekturen und vor allem ergänztes und besseres Illustrationsmaterial unveränderte zweite Auflage dieses wichtigen Buches trotz des Quantensprungs, den das Wissen um die tibetische Kunst in der vergangenen drei Jahrzehnten gemacht hat, sehr zu begrüßen. Der Autorin war damals nicht bewusst, dass eben diese Yongle-Bronzen die ersten sichtbaren Zeichen eines der größten kulturellen Völkermorde waren, den die Welt je gesehen hat, die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Mitte der siebziger Jahre war Tibet so unzugänglich wie nie zuvor und jedenfalls von 1959 bis in die frühen achtziger Jahre wusste niemand, was in Tibet eigentlich geschah. Dass Heather Stoddard in einem ausführlichen Vorwort zur zweiten Auflage das Geschehen in Tibet in jenen Jahren in Erinnerung ruft, und das mit Worten, wie sie kaum je und vor allem schon lange nicht mehr in dieser Deutlichkeit zu lesen waren, ist besonders hervorzuheben. Es ist keine Anklage, sondern eine nüchterne Feststellung der unvorstellbaren Zerstörungen, wie sie erst in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts nach und nach bekannt wurden. Während der chinesischen Kulturrevolution, die in Tibet von 1966 bis 1978, vielleicht sogar noch länger währte, wurde das kulturelle Erbe Tibets buchstäblich in Stücke zerschlagen – von dem Verlust von Menschenleben ganz abgesehen. 90 bis 95% der materiellen Kultur Tibets wurden verbrannt, zerschlagen, gestohlen und verschleppt. Alle Tempel, Klöster, Stupas, Einsiedeleien, Paläste, Festungen, Landgüter wurden gezielt geplündert, zerstört und abgetragen, bis nur noch Schutthaufen übrig waren. Mit ihnen wurden große Sammlungen einzigartiger Kunstwerke aus einem Zeitraum von 1300 Jahren, die sich dank der Kontinuität der Geschichte und des trockenen tibetischen Klimas in Museumsqualität erhalten hatten, vernichtet oder geraubt. Ungezählte Mengen von Malerei, Skulpturen und Ritualobjekten wurden fortgeschafft und versteckt. Private und klösterliche Bibliotheken unvorstellbaren Ausmaßes wurden abgefackelt und brannten tage-, ja wochenlang. Als erste Besucher nach der zaghaften Öffnung Tibets Anfang der 80er Jahre nach Tibet kamen, standen sie vor rauchenden Trümmern, vor Ruinen und den Tonscherben zerschlagener Statuen. Wer heute staunend vor den geringen Resten dieser materiellen Hochkultur in den wenigen quasi als Museum benutzten Gebäuden das alten Tibet steht, mag den unfassbaren Umfang der Zerstörung und Vernichtung ermessen. Die Kehrseite der Medaille – wenn man dieses Bild bei einem kulturellen Genozid überhaupt gebrauchen darf – ist die fundamentale Wissenserweiterung über tibetische Kunst in den vergangenen drei Jahrzehnten. So wie die Yongle-Bronzen Anfang der siebziger Jahre auf dem Londoner Markt erschienen, kamen nach und nach, vorwiegend über Hongkong zu ständig steigenden Preisen Thangkas, Skulpturen und rituelle Objekte auf den Kunstmarkt und füllen heute Museen und private Sammlungen. Das Vorwort von Heather Stoddard ist auch eine Zusammenfassung der schier unglaublichen Entwicklung der tibetischen Kunstgeschichte in den vergangenen drei Jahrzehnten. Sie berichtet über das, was Wissenschaftler an Ort und Stelle aus den vorgefundenen Resten der einstmals so reichen buddhistischen Zivilisation zusammentragen konnten, von der Entdeckung alter Wandmalereien, die sich in als Lagerraum zweckentfremdeten Tempeln zufällig erhalten haben und der allmählich sich formenden Vorstellung einer genuinen tibetischen Kunst, die zwar Einflüsse aus Indien, Zentralasien und China aufnahm aber zu einer eigenständigen Form fand. Die wichtigen, von bedeutenden Katalogen begleiteten Ausstellungen tibetischer Kunst, die teilweise um die Welt reisten, mehrere, viel beachtete Kolloquien von Fachwissenschaftlern und vor allem die inzwischen kaum noch übersehbare Literatur – auch solche aus China und aus Tibet – werden erwähnt, aufgezählt und gewürdigt. Das Ziel all dieser Bemühungen, die Wahrnehmung tibetischer Kunst als eine der großen künstlerischen Ausdrucksformen in dieser Welt, darf man als erreicht ansehen. Heather Stoddards Early Sino-Tibetan Art stand ganz am Anfang dieses Weges und ist in seiner zweiten Auflage von historischer Bedeutung. Und Heather Stoddards großartiges Vorwort muss man einfach gelesen haben.

[More Orchid Press Reviews]